P. Hadrian ist nach Hause gekommen.

Am Freitagabend, den 27. Juni 2025 – also am Fest des Heiligsten Herzens Jesu – traf folgende Nachricht in Jablonec ein:


Die Entscheidung des Herrn bleibt ewig, die Pläne seines Herzens bestehen für alle Generationen:
Er will uns aus dem Tod reißen und unser Leben in Zeiten der Hungersnot bewahren. (Ps 33)
Eröffnungsvers der Heiligen Messe am Tag des Todes, Fest des Heiligsten Herzens Jesu

 

P. Hadrian (Gerhard) Lucke
geboren am 7. August 1930 in Jablonec nad Nisou/Gablonz an der Neiße
gestorben am 27. Juni 2025 in München


P. Hadrian Lucke, mit richtigem Namen Gerhard Lucke, wurde am 7. August 1930 in Jablonec nad Nisou geboren. Als ältester Sohn von Alois und Maria Lucke wuchs er mit seinem jüngeren Bruder Fritz in einem sicheren Zuhause auf – bis Tuberkulose das Familienglück zunichte machte: 1940 starb der Bruder, ein Jahr später auch die Mutter. Der Vater wurde zur Armee eingezogen und heiratete 1943 erneut.
Gerhard selbst überlebte die Krankheit, doch der Krieg zerstörte bald das familiäre Umfeld. 1945 entkam er gerade noch rechtzeitig dem Einsatz an der Front als Kriegsjunge, wurde aber kurz darauf zur Zwangsarbeit als ungelernte Hilfskraft auf einem tschechischen Bauernhof eingesetzt. Dort erfuhr er – wie er später dankbar erinnerte – Respekt und Nähe. Die Hoferbesitzer, ein kinderloses Bauernpaar, wollten ihm sogar ihren Hof vererben. Gerhard hatte jedoch einen anderen Weg im Sinn.
Die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung im Jahr 1946 führte ihn über Mecklenburg und Sachsen-Anhalt in die sowjetische Besatzungszone. 1947, im Alter von 16 Jahren, entschloss er sich zur Flucht nach Westen – es war ein riskantes Unterfangen, das ihm nur mit Hilfe mutiger Menschen gelang. Sein Ziel war das Seminar für späte Berufungen der Kapuziner in Dillingen an der Donau. 1950 machte er dort sein Abitur und trat danach in das Noviziat in Lauf ein als Frater Hadrian von Gablonz. Während seines ganzen Lebens als „bayerischer Kapuziner“ vergaß er jedoch nie seine sudetendeutsche Herkunft.
Es folgte das Studium in Eichstätt und die Priesterweihe am 29. Juni 1956. Als junger Geistlicher wirkte er zunächst in Altötting. Doch bald zeigte sich sein außergewöhnliches Talent für die Arbeit mit Jugendlichen: 1959 wurde er Direktor der Seraphischen Wohltätigkeitsanstalt in St. Ingbert, die er bis zu ihrer Schließung 1978 leitete. Danach war er Regens in Eichstätt, unter anderem auch, weil dort seine alten Eltern lebten, um die er sich gerne kümmerte. Es folgten weitere Missionen: Er war der Hauptmann in Dillingen, Krankenhausseelsorger in München-Nymphenburg, Gefängnisseelsorger und Guardian des Ordenshauses in Aschaffenburg. 2001 kehrte er nach Eichstätt zurück und verließ später das neu gegründete Kloster in Ingolstadt. Er fuhr gerne Rad – später auf seinem geliebten Dreirad – führte Korrespondenz, hielt Kontakt zu jungen und alten Menschen und gab ihnen seine Erfahrungen weiter.
Nach der Schließung des Klosters in Ingolstadt zog er 2014 ins Antoniter-Kloster in München. Hier lebte er gerne im Kreis seiner Mitbrüder, mit denen er betete, gemeinsam aß, scherzte und Erinnerungen teilte. Im Februar 2025 musste er in das Pflegeheim St. Kreszenz beim Kloster umziehen. Dort freute er sich bis zum Ende über die Kontakte zu seinen Mitbrüdern, Verwandten und Freunden.
Pater Hadrian war stets aufmerksam und hilfsbereit. Seine sudetendeutsche Herkunft verband sich in ihm mit einem breiten Blick, mit dessen Hilfe er bittere Erfahrungen in Mitgefühl umwandeln konnte. Freude bereitete ihm der Kontakt zu Verwandten, deren Kinder und Enkel er mit Rat und Gebet begleitete.
Er war einer der Zeugen des vergangenen Jahrhunderts – nicht laut, aber bestimmt. Er war ein Mann, der trotz vieler Krisen ein Diener der Versöhnung wurde und seinen feinen Sinn für Humor bewahrte.
Am Fest des Heiligsten Herzens Jesu im Jahr 2025 – am 27. Juni – konnte er durch die offenen Türen ins Vaterhaus im Himmel eintreten. Möge der Herr ihm die ewige Ruhe schenken.
Die Beerdigung findet am Donnerstag, den 3. Juli, um 8:45 Uhr auf dem Kapuzinerfriedhof St. Anton statt, anschließend wird eine Requiemmesse in der Kirche des Hauses St. Kreszenz in München gefeiert. Lassen Sie uns ihm für alles Gute danken, das er uns gegeben hat. Möge er in Frieden ruhen.

Die Kapuziner aus München von St. Anton

 

 

 

Das Parte mit dem obigen Text in deutscher Sprache erreichte also am Tag seines Todes seine Heimatstadt P. Hadrians. Dass über ihn noch viel mehr gesagt werden könnte, als der bereits ungewöhnlich lange Text der Traueranzeige verrät, könnte für die Jablonecer Pfarrangehörigen einige weitere interessante Dinge sein...

 

Die Familie Lucke vor dem neuen Familienhaus in der Družstevní Straße 25 auf dem "Porschberg" in Jablonec nad Nisou. Papa Alois, bei ihm Gerhard, Mama Maria und der jüngere Bruder Fritz. Mama war die Tochter des jablonecer christlichen Politikers Anton Biemann, der seit 1923 Mitglied des Stadtrats und Vorsitzender des Finanzausschusses war. Sein erfolgreiches Wirken als Bürgermeisterstellvertreter endete mit dem Aufstieg der Sudetendeutschen Partei zur Macht im Jahr 1937.

 

Die jüngere Generation P. Hadrians kennt bereits niemand mehr, aber durch seine häufigen Reisen in die "alte Heimat" war er insbesondere in den Neunzigerjahren und um die Jahrtausendwende vielen unserer Pfarrangehörigen bekannt. Im Magazin Tarsicius erschien 2001 ein Artikel mit dem Titel Wie der Herr mich berufen hat, in dem er einige Momente seines Lebenswegs beleuchtet. Nachdem sich 1990 die Grenzen geöffnet hatten, versuchte P. Hadrian, jährlich eine Fahrt für Landsleute in die Isergebirge zu begleiten. Eine große Hilfe bei den Reisen nach Böhmen, insbesondere in den späteren Jahren, als seine körperlichen Kräfte nachließen, war die Zusammenarbeit mit seinen Verwandten Christina und Joachim Neumann aus Erfurt. Für die Reisen, die er spirituell begleitete, „lieh“ er sich immer eine unserer Kirchen, in denen er die deutsche Messe feierte; das war zum Beispiel in Rýnovice, Rádlo, Mšeno, Lučany, Rychnov, Josefův Důl, Janov und anderswo. Er fuhr gerne nach Hejnice, wo er mehrmals an der traditionellen Landsmannschaftsmesse zum ursprünglichen Datum des Festes der Visitation der Jungfrau Maria am 2. Juli konzelebrierte. Eine besondere Beziehung hatte er zur Wallfahrtskirche St. Josef in Kittelstadt, mit der ein Teil seiner Familie verbunden war. Für deren Sanierung organisierte er eine finanzielle Sammlung.

Doch auch bei Gottesdiensten in Jablonec konnten wir ihn antreffen. Auf dem Friedhof in Huti segnete er das tschechisch-deutsche Denkmal, das an das zerstörte Zusammenleben der ansässigen Familien erinnert. Er selbst wurde in der Kirche St. Anna getauft, dort ministrierte er auch, und sein Vater spielte die Orgel. Er war wahrscheinlich der letzte Geistliche, der das Vorkriegs-Jablonec mit der Gegenwart verband. Seine bemerkenswerten Lebensperipetien waren auf besondere Weise gesegnet: im Gegensatz zu vielen seiner deutschen Altersgenossen erlebte er bei der Zwangsarbeit nach dem Krieg auf dem Hof in Bořkov bei Semily menschliche Behandlung und Mitgefühl. František Novotný, ein tschechischer Landwirt, dem er zugeteilt wurde, behandelte ihn nicht nur wie ein Familienmitglied, sondern ließ ihn ihm sogar riskant erlauben, Verwandte in Jablonec zu besuchen, und zwar ohne irgendwelche Formalitäten. Eine Haltung, die damals gegenüber Deutschen alles andere als üblich war.

 

Der fünfzehnjährige Gerhard Lucke nach dem Krieg auf dem Hof der Familie Novotný in Bořkov bei Semily.
Diese Lebensetappe endete im Sommer 1946.

 

Nicht nur diese Erfahrung führte Hadrian dazu, ein Botschafter der Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen zu werden. In dieser Hinsicht wirkte er nicht nur in seinem priesterlichen Beruf, sondern wurde auch zum geistlichen Berater der deutschen Organisation Ackermann-Gemeinde gewählt. Diese setzt sich seit Jahrzehnten für gute Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen sowie weiteren europäischen Völkern ein, die im 20. Jahrhundert von der Seuche des Hasses betroffen waren.

 

Im Kapuzinerseminar bzw. Gymnasium in Dillingen an der Donau 1947, 4. von links in der hinteren Reihe.
Hier konnte er endlich seine Ausbildung ergänzen.

 

Mit seinen Mitbrüdern in Eichstätt 1953, zweit von rechts oben

 

Hadrians erste Messe nach der Weihe fand am Sonntag, dem 1.7.1956, in der im Bau befindlichen Kirche des Heiligsten Herzens Jesu in Neugablonz statt. Durch sein Engagement in der Seelsorge eines Menschen aus der „alten Heimat“ erregte er außergewöhnliche Aufmerksamkeit und zog nicht nur eigene Pfarrangehörige aus Neugablonz, also Landsleute aus Böhmen, sondern auch aus der nahen Stadt Kaufbeuren und aus vielen weiter entfernten Gemeinden an. Der Ansturm von Gästen war so groß, dass sie nicht einmal in das weite Kirchenschiff des zukünftigen Gotteshauses passten. Die Einmaligkeit des Augenblicks wurde durch die Anwesenheit des Kapuziners Heinrich Suso Braun, einem bekannten österreichischen Rundfunkprediger, verstärkt, der die Primizpredigt hielt. Er widmete sich in seiner Ansprache insbesondere der Frage von Heimat und Vaterland, also einem Thema, das in der Mitte der fünfziger Jahre für viele Vertriebenen nach wie vor schmerzhaft und durch die politischen Entwicklungen noch komplizierter war. Seiner Meinung nach ist Heimat im eigentlichen und tiefsten Sinne einzig bei Gott selbst und in seiner Sicherheit. Die Lebensaufgabe des Priesters ist es, mit Gottes Hilfe Menschen genau dorthin zu leiten. Es ist die Aufgabe des Priesters, Brücken zu bauen, selbst da, wo menschliche Unvollkommenheit und Versagen herrschen. P. Braun erwähnte in Bezug auf den Schmerz im Zusammenhang mit dem Geburtsort des Primizianten auch seine Predigt in der Jablonecer Kirche im Jahr 1932.

Im Jahr 1970 in St. Ingbert (Saarland)


P. Hadrian zeichnete sich nicht nur durch sein Interesse an Musik (er selbst spielte Gitarre und begleitete die Liturgie für die Jugend), sondern auch – was bei Priestern weniger üblich ist – durch sein Interesse an Literatur aus. Sein inniger Bezug zu dem heute fast vergessenen, einst berühmtesten Schriftsteller aus dem Jablonecker Raum, dem „Dichter des Isergebirges“ Gustav Leutelt, bezeugt eine Homilie, die er am 28. Mai 1989 in der Kirche des Heiligsten Herzens Jesu in Neugablonz hielt. Dies geschah beim 35. Verbandstreffen der Landsleute aus dem Isergebirge. In dieser Ansprache berührte er drei Bereiche, die er für wichtig und inspirierend hielt: die Beziehung des Schriftstellers zur Schöpfung, seine Beziehung zu anderen Menschen und auch die Beziehung zu den Kirchen der Heimat. In den Werken dieses Autors, der ganz „a-religiös“ war, fand P. Hadrian viele positive Momente. Die Homilie war so erfolgreich, dass sie als Vorwort zum letzten Band der gesammelten Schriften von Gustav Leutelt, veröffentlicht in der BRD Ende der achtziger Jahre, gedruckt wurde.

Im Zug bei der 60. Jubiläumsfeier seiner Priesterweihe in der Kirche des Heiligsten Herzens Jesu
in Neugablonz am 3. Juli 2016. Priester von links: Redemptorist P. Hans Schalk,
P. Hadrian, P. Antonín Kejdana, P. Thomas Hagen – Pfarrer in Neugablonz (Foto Harald Langer)

 

Auf dem Foto vom 1. Juli 1956, veröffentlicht von der lokalen Zeitung, ist der Pfarrer Dörner (links)
und Heinrich Suso Braun (rechts). In der Mitte P. Hadrian Lucke. Im Zug gehen die Blumenmädchen, eines von ihnen trägt die Primizkrone.
Dieses Blumenmädchen - Annelies Wittwer - nahm nach sechzig Jahren an der Jubiläumsmesse teil,

zu der sie auch die besagte Krone mitbrachte, die sie sich damals als Andenken aufbewahrt hatte.


Im Jahr 2016 feierte P. Hadrian das sechzigste Jubiläum seiner Priesterweihe an dem Ort seiner Primiz, also in der Kirche des Heiligsten Herzens Jesu in Neugablonz. An der feierlichen Messe nahm eine kleine Delegation aus Jablonec teil, und der Jubilar konzelebrierte zu der Zeit auch mit dem Franziskaner P. Antonín Kejdana aus Ruprechtice, der, selbst ein großer Verfechter der Versöhnung historischer Ungerechtigkeiten und Leiden, auch mit Hadrian befreundet war.

 

P. Hadrian Lucke und P. Antonín Kejdana

 

Trotz der Unterschiede in den Ordensregeln verbanden sie nicht nur die gemeinsame Ordensbrüderschaft mit St. Franziskus von Assisi, sondern auch ihre fröhliche und positiv eingestellte Natur sowie ihr echtes Interesse an den Menschen, an ihren Leben mit Freuden und Widrigkeiten. Heute freuen sich die beiden Brüder also zweifellos bei dem, den sie liebten und dem sie ihr Leben widmeten. Als Reaktion auf die Nachricht über den Tod P. Hadrians bemerkte einer der deutschen Pfarrangehörigen: „Er war ein stiller Mensch, aber voller Kraft.“





P. Hadrian auf seinem Dreirad im Garten des Antoniterklosters in München im Juni 2023.

 

Das vierte Gebot

Ob wir wollen oder nicht, die Kindheit beeinflusst uns ein Leben lang. Und die Menschen, die einst an unserer Wiege standen, begleiten uns später ein Leben lang – im Alter noch mehr als in der Jugend. Ich bin jetzt über 80 Jahre alt, aber niemand ist mir so nah wie sie.
Da ist meine liebe Mama, die sehr früh zu Gott berufen wurde. Als sie starb, war ich noch ein Kind. Vor ihrem Tod fragte ich sie, ob sie meine Mutter auch bei Gott bleiben würde; ich wollte keine andere Mutter als sie haben. Da ist mein Vater, der in den Krieg ging, als Mama sterbenskrank war, aber Gott schenkte ihm ein langes Leben, und ich konnte auf seiner Männlichkeit selber eigenständig stehen, trotz aller Spannungen, die zwischen Vater und Sohn oft vorkommen. Da ist mein kleiner Bruder, der einmal erklärte, dass er länger leben würde als ich, und der noch in der Kindheit starb. Da ist mein Onkel Anton, der in mir immer das Kind seiner Lieblingsschwester sah und der mir mein ganzes Leben lang ein wahrer Freund blieb. Da ist die Mutter meines Vaters, mit der ich während des Zweiten Weltkriegs so gerne in die Kirche ging und die mir bewusst oder unbewusst den Weg zum Priestertum ebnete. Ich danke Gott, dass sich meine Verwandten um mich kümmerten und mich nicht in ein Kinderheim schickten, als der Vater, die Mutter und der Bruder nicht mehr da waren. Wie sehr hatten sie Angst um mich! Es durfte mir nichts geschehen. Ich musste den richtigen Weg im Leben finden. Ich musste meine schlechten Gewohnheiten ablegen. Nach dem Krieg musste ich die Schulbildung abschließen, was in der Heimat nicht mehr möglich war. Es wäre schlecht gewesen, wenn ich es nicht weitergebracht hätte als zum Straßenkehrer. Hier möchte ich auch der zweiten Frau meines Vaters danken, die selbst mit zwölf Jahren die Schule verlassen musste. Als ich dann den Weg zum Priestertum fand, schrieb mir mein Onkel, dass es der Abschluss des dornenreichen Lebenswegs meiner verstorbenen Mutter sei. Wenn wir als Christen eines Tages gehen müssen, wird es für uns bedeuten, mit unserem Herrn Jesus Christus zusammentreffen. Er hat uns zur Hochzeitsfeier des ewigen Lebens eingeladen. Wir freuen uns darauf, dann wieder mit denjenigen zusammenzukommen, die uns hier auf Erden Heimat und Sicherheit geschenkt haben.

(Text von Hadrian Lucke aus dem Ende des Jahres 2011)

 

Für P. Hadrian Lucke wird (wurden) am Freitag, dem 4. Juli 2025, im Dekanatskirche in Jablonec nad Nisou eine Messe gefeiert.

 

Text: (außer Parte): Borek Tichý
Fotografie: aus dem Archiv von Borek Tichý, sofern nicht anders angegeben

Das Parte in Deutsch / Tschechisch als PDF.